Gehen

Karl Lueger
Einblicke in die Zeiterfahrungen eines Karawanenführers aus Hartberg.

„Die Uhrzeiger, die man hat, das sind die Schatten der Kamele“, erzählt Karl Lueger poetisch von seinen Reiseerfahrungen in einer Karawane. Vom Gang im ersten Morgenlicht, von der langsam aufsteigenden Wärme, über die er sich immer freute, aber auch von der permanenten Müdigkeit: täglich 17 Stunden unterwegs, Essen auf dem Rücken der Kamele, ohne stehen zu bleiben und ein gefühltes Dauerschlafdefizit als treuer Begleiter. Gelebte Zeit ohne den üblichen Rahmen wird auf diese Weise eine besondere Erfahrung, während die Psyche zwischen Sehnen nach Schlaf und einer selten empfundenen Klarheit verweilt. Nach einem Ankommen hat er sich dennoch nie gesehnt, erläutert Lueger, und dass dieser Ausnahmezustand auch ein wenig süchtig macht. Beeindruckt hat ihn auch das Gehen im Dunkeln: Die Sonne versinkt innerhalb von Sekunden und zurück bleibt ein mit Sternen übersäter Himmel, doch auch Orientierungslosigkeit. „Wer einem Stern folgt, der wankt nicht“, wissen jedoch die Menschen der Wüste und leben diesen Leitsatz. Sterne sind als Kompass die einzige Möglichkeit, nachts im Dunkeln nicht im Kreis zu gehen. Es lohnt sich also auch bei uns, ab und zu den Blick auf die Sterne zu richten; dann werden die Kreise vielleicht auch wieder größer, meint Karl Lueger.

Freitag, 06. Mai 2011