Zeit und Ökologie

Fritz Reheis ist Zeitexperte und Soziologe an der Universität Bamberg.

Fritz Reheis macht einen Exkurs in seine Kindheit und erzählt, dass er bereits in Kindertagen unter seiner Langsamkeit litt. Damals empfand er Langsamkeit als Makel, ehe er sich im Alter von 40 Jahren mit einem Buch befasst hat: „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny. Ab diesem Zeitpunkt war Reheis der Meinung, dass er selbst möglicherweise nicht zu langsam war, sondern das richtige Tempo hatte, und lediglich die anderen vielleicht zu schnell waren.
    
An der Universität ist Fritz Reheis für die Ausbildung im Bereich der Politischen Bildung zuständig. Er versucht, mit seinen StudentInnen anders umzugehen, damit diese mehr Sensibilität für Reifungsprozesse erlangen. Doch nicht nur auf professioneller Ebene, sondern auch grundsätzlich findet Reheis das Thema Zeit faszinierend, da es auf unterschiedlichste Art und Weise Dinge zusammenbringt, die wir meistens nur getrennt diskutieren. Eingedenk dessen fordert er, den Menschen die Chance zu lassen, ihre Angelegenheiten im eigenen Tempo zu Ende zu führen und sich am Erfolg zu freuen. Wenn Menschen das Gefühl haben, sie würden nicht gebraucht, so wollen sie nicht mehr mit anderen zusammenarbeiten. Dieses Gefühl der Nutzlosigkeit bringt Menschen dazu, sich nicht länger an die Spielregeln des Zusammenlebens zu halten.
    
Wichtig ist es laut Reheis auch, dem Leben eine gewisse zeitliche Stabilität zu geben. Dabei verweist er auf den Zyklus in der Natur: Die Wiederkehr des Ähnlichen ist die Basis für die Existenz von Tag und Nacht. Der Zyklus der Zeit, beispielsweise die Jahreszeiten, ist die Basis für die Stabilität des Lebens.
    
Einen Störfaktor ortet Fritz Reheis in der Ökonomie: „Geld spielt eine viel zu wichtige Rolle, es mahnt zur Schnelligkeit, doch das Leben ist langsamer als das Geld.“ Ähnlich verhält es sich bei der Produktion von Waren. „Warum ist die ökologische Produktion im Vergleich zur Massenproduktion so teuer?“, fragt Reheis und gibt sogleich die Antwort: „Weil die Preise nicht die ökologische und soziale Wahrheit sagen.“ Er führt aus, dass der Transport spottbillig abgerechnet und abgewickelt wird. Die Herstellung passiert in der Dritten Welt, wo Menschen für einen Bruchteil dessen arbeiten, was bei uns in Westeuropa verdient wird. Dadurch kommt es dazu, dass in Supermärkten Massenware billig angeboten werden kann, wohingegen Waren in Öko-Läden zu einem höheren Preis feilgeboten werden. Eingedenk dessen kritisiert Reheis die Industrialisierung: Das Lebendige passt nicht zur Industrialisierung, die sich der Vermehrung von Geld verschrieben hat. Die herrschende Wirtschaftsordnung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Kapitalismus mit all seiner Energie darum bemüht, alles Leben in Geld zu verwandeln. Dadurch muss nicht nur immaterielles Sachkapital, sondern auch biologisches Kapital, wie etwa Pflanzen, Tiere und sogar Menschen, verwertet werden. Der Begriff des Humankapitals ist bereits ganz selbstverständlich geworden. Abschließend prognostiziert Fritz Reheis, dass mit dem Schlimmsten zu rechnen ist, wo Leben unter jeglicher Bedingung zu Geld verwandelt werden soll.

Freitag, 06. Mai 2011