KOOPERATION STATT KONKURRENZ

Tom Kehrbaum studiere Berufspädagogik und Philosophie an der TU Darmstadt, leitete mehrere Innovationsstudien und ist derzeit beim Vorstand der IG Metall für gewerkschaftliche Bildungsarbeit zuständig.

Tom Kehrbaum legt den Fokus auf Kooperation und bemerkt dabei, dass die Verständnisse dieses Begriffs zum Teil sehr verschieden sind. Er eröffnet seinen Vortrag mit folgender These: Der Mensch wird zum Menschen in zwischenmenschlicher Begegnung durch Kooperation. Dahinter verbirgt sich das Menschenbild, dass der Mensch nicht alleine geboren wird, sondern zunächst mit der Mutter im Mutterleib verbunden ist. Bei der Geburt in eine für das Kind als unangenehm empfundene Welt wird die körperliche Verbindung zwischen ihm und seiner Mutter getrennt. Daran schließt sich die „pädagogische Urszene“, in der das hilflose Kind von der Mutter umsorgt wird. Dieses Ereignis setzt die Grundlage für die komplexen Beziehungen unserer sozialen Interaktion der Erwachsenenwelt. Ein Kind wird geboren mit dem Bedürfnis nach einem Anderen und der Neigung, Kontakt aufzunehmen. Der Mensch ist ein soziales Wesen – oder, nach Rousseau, dazu geschaffen, gesellig zu werden. Das Neugeborene kann nicht überleben, wenn es nicht von einem anderen ernährt, von der Mutter gestillt wird; diese biologische Abhängigkeit hat oft die soziale Abhängigkeit verdeckt. In den ersten zwei Lebensjahren werden die Grundlagen ausschließlich durch soziale Interaktion angelegt und verfestigt. Sie zeigen sich erst in der späteren Entwicklung des Kindes als Fähigkeiten und Motivationen menschlicher Kooperation. Wir Menschen als Natur- und zugleich Kulturwesen sind der beste Beweis dafür, dass wir zur Kooperation bestimmt sind; Kultur ist ohne Kooperation nicht möglich. Die Entwicklung der Menschheit war also von Beginn an ein Prozess der Entwicklung sozialer Innovation, durch zwischenmenschliche Begegnungen und durch Kooperation von Mensch zu Mensch.

Der zweite Teil des Vortrages handelt von den sozialen Aspekten der Kooperation. Die heutige Arbeits- und Lebenswelt ist das Ergebnis menschlicher Kooperation. Soziale Institutionen sind dabei kulturell unterschiedlich ausgeprägt, wodurch Interkulturalität entstehen kann. Gleichsam ist dies ein Beleg dafür, dass Kooperation unterschiedlich sein kann – von der Zweckgemeinschaft bis hin zur Solidargemeinschaft. Dabei stellt sich die Frage nach der Qualität von Kooperation. Kehrbaum hebt hervor, dass Kooperation und Konkurrenz einander nicht immer unbedingt ausschließen müssen, sondern sich manchmal gegenseitig bedingen. Die Qualität des Begriffs der Kooperation hängt zusammen mit sozialer Innovation. Qualitativ ist, dass Innovation auch sozial sein muss. Doch was stellt eigentlich das Soziale an der menschlichen Kooperation dar? Kehrbaum verweist hier wiederum auf Tomasello, der von Phylogenese (Entwicklung der Gattung Mensch, der gesamten Menschheitsgeschichte) und Ontogenese (Entwicklung des einzelnen Menschen) sprach. Bedingungen für die Entwicklung des Menschen sind Kommunikation und Koordination – die Sprache steht im Zentrum. Darüber hinaus schaffte sich der Mensch Normen und Institutionen, manchmal auch ungeschrieben, sowie Vertrauen und Toleranz, sodass Gemeinschaftsaktivitäten immer wieder neu beginnen können. Als letzten Aspekt fügt Kehrbaum Emotionalität und Ethik hinzu. Hierbei rückt die Qualität des Miteinanders in den Fokus, also die sozialen Aspekte menschlicher Kooperation. Kooperation wiederum besteht aus der Absicht, zusammenzuarbeiten, zu teilen und zu helfen. Die geteilte Intentionalität einer Gruppe ist Basis für kooperatives Handeln: Jedes Individuum vollführt bestimmte Aufgaben für einen gemeinsamen Zweck. Unabdinglich sind dabei die gegenseitige Aufmerksamkeit, das Wahrnehmen und der Respekt im Umgang miteinander.

Zuletzt verweist Kehrbaum auf das Phänomen der Kommune, um auf ein konkretes Beispiel von Kooperation und Innovation einzugehen. Dabei hält er fest, dass die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft gleichzeitig immer eine Aus- und Abgrenzung gegenüber einer anderen Gruppe impliziert. Kommunen sind jedoch offen gegenüber Andersartigkeit und Fremdsein; diese Offenheit ist eine notwendige Bedingung für Innovation. Fremdes wird durch Einsicht als nützlich wahrgenommen und übernommen. Dabei wird an alte Gewohnheiten angeknüpft, weswegen Kehrbaum den Begriff der kreativen Zerstörung abschwächen möchte. Wichtig sind auch Vertrauen und Toleranz, ebendiese soziale Sicherheit: Es muss möglich sein, Fehler zu machen, ohne dabei aus der Kommune ausgeschlossen zu werden. Dies ist insofern wichtig, als es auch in Kommunen menschlich gewachsene Hierarchien gibt. Diese können sich wiederum als innovationshemmend herausstellen. Jedenfalls bietet die Kommune Möglichkeitsraum für kreative Prozesse sowie menschlich und sozial sinnhafte Innovation.

Freitag, 17. Mai 2013