DENKZEITRAUM: KREATIVITÄT DES DENKENS

Rainer M. Holm-Hadulla ist leitender Arzt der Psychosozialen Beratung für Studierende an der Universität Heidelberg, Professor für Psychotherapeutische Medizin sowie Gastprofessor an der Pop-Akademie Baden-Würtemberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Beratung, Therapie und Kreativität.

Rainer M. Holm-Hadulla verweist zu Beginn seines Vortrages auf die Grundlagen des psychologischen, neurobiologischen und kulturwissenschaftlichen Verständnisses von Kreativität. „Creare“ ist das erste Wort der Bibel: Gott schuf ein autonomes Individuum mit aller Selbstverständlichkeit. Es handelt sich dabei um die christliche Kreativitätsvorstellung, die aber maximal die Hälfte des Phänomens beleuchtet. Im Wort „Kreativität“ steckt auch das Wort „cres“, das Wachsen und Bestehenlassen. Darin befindet sich unser kreatives Tun; zwischen konzentriertem Arbeiten, Erschaffen von Gegenständen und entspanntem, freiem Geschehenlassen.

Holm-Hadulla hebt hervor, dass Kreativität etwas ist, das mit dem Anderen zu tun hat, die Frage an den Anderen. Wer bin ich im Spiegel? Wer sind Sie? Und wie situieren wir uns in dieser Welt? Insofern ist Kreativität eine alltägliche Aufgabe. Er definiert außergewöhnliche Kreativität so, dass sie für viele relevant ist, wohingegen alltägliche Kreativität meist nur für das Individuum selbst oder einen kleinen Kreis von Relevanz ist. Als Beispiel für außergewöhnliche Kreativität bringt Holm-Hadulla ein literarisches oder künstlerisches Werk. „Wir wissen heute, dass kreative Prozesse lebenswichtig sind, von der ersten Stunde an. Wir wissen, dass Kinder nach der Geburt nicht nur Reize in sich aufnehmen und dann irgendwie speichern, sondern dass sie Reize auch verarbeiten. Aus dem, was in sie hineinkommt, das verarbeiten sie zu dem, was ihre neurobiologische Struktur ist und es ist keine metaphorische Übertreibung, zu sagen, jedes Kind komponiert seine Welt.“ Kreativität benötigt dabei materielles Wissen, das im Gedächtnis gespeichert ist und neu kombiniert werden kann. Holm-Hadulla betont, dass Begabung, Wissen und Leidenschaft beziehungsweise Motivation die wesentlichen Elemente schöpferischer Kreativität darstellen. Zwei weitere Aspekte stellen Persönlichkeitseigenschaften und Lebensbedingungen dar. Einem kreativen Akt gehen immer Spannung und Anstrengung voraus. Insofern müssen Strukturen angeboten werden, die ebendiese Spannung aufbereiten, um schließlich Kreativität zu fördern. Jedes Kind und jeder kreative Erwachsene braucht eine gute Begleitung, eine Kultur der Anerkennung. Holm-Hadulla führt dabei seinen Begriff des „kompetenten Interesses“ ein: „Wir müssen uns, wenn wir Kreativität fördern, für diejenigen, die wir fördern wollen, interessieren; wir brauchen kompetentes Interesse in Verbindung mit Anerkennungskultur.“

Samstag, 18. Mai 2013