Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung

EUROPAS CHANCE UND WEG IN DIE ZUKUNFT

Franz Fischler absolvierte ein Studium der Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Von 1989 bis 1994 war er Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, von 1995 bis 1999 Mitglied der Europäischen Kommission; dabei zuständig für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Seit 2005 fungiert er als Geschäftsführer der Franz Fischler Consult GmbH. Darüber hinaus ist er Chairman der RISE-Foundation in Brüssel, Vorsitzender von PRO SCIENTIA, Berater zahlreicher Regierungen und der OECD, Vorsitzender der Raiffeisen Klimaschutzinitiative sowie Präsident des Europäischen Forums Alpbach.

Franz Fischler referiert zum Thema „Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung“ und geht dabei der Frage nach, ob und inwiefern diese Schlagwörter eine Chance für Europa darstellen können. Zu Beginn verweist Fischler auf die hohe CO2-Ausstoßrate in Österreich; doch auch global betrachtet ist eine Tendenz zu noch mehr CO2-Ausstoß festzustellen. Fischler urteilt, dass dieser Weg nicht mehr lange beschritten werden darf und dass eine Veränderung notwendig wird. Wenn wir eine Trendwende schaffen, können wir zu einer nachhaltigen Situation zurückkehren. Doch wie kann dies funktionieren? Fischler lobt dabei die Steiermark, welche sich bereits in den 1980er Jahren mit Fragen der Ökologie und der sozialen Marktwirtschaft beschäftigt hat. Er fordert eine dritte Dimension: Das Wirtschafts- und Sozialsystem muss ausgeweitet werden, um es „enkeltauglich“ zu machen; untrennbar damit verbunden ist die Ökologie, nämlich ökosoziale Marktwirtschaft. Ökosozial bedeutet zunächst die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Ökonomie, Ökologie und dem Sozialen. Ins Soziale muss auch das Kulturelle einfließen, wie Fischler betont. Essentiell ist, dass ebendieses Gleichgewicht robuster wird, damit es sich längerfristig halten kann. Nachhaltigkeit bedeutet dabei nicht unbedingt ein immer größer werdendes Wachstum, wenngleich Europa diesbezügliche Probleme aufweist; wichtig ist ein qualitatives Wachstum. Eingedenk dessen kritisiert Fischler das neoliberale Wirtschaftssystem und erklärt es als mittlerweile überholt. Unser heutiges Problem ist, dass wir aus dieser Tatsache nicht genug Konsequenzen gezogen haben. Zwar wurden auf europäischer Ebene bereits Programme ausgearbeitet, jedoch hat man sich noch nicht ausreichend genug mit den Umsetzungsmöglichkeiten befasst, so Fischler.

Das Jahr 2011 war wirtschaftlich gesehen europaweit das Haupt-Krisenjahr, dessen Auswirkungen auch heute noch spürbar sind. Fischler ortet gegenwärtig ein Problem der Innovation, welche von den spärlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung gehemmt wird. Auch gibt es in Europa eine noch zu geringe Menge an Risikokapital für neu startende Unternehmen. Parallel dazu sieht Fischler ein Problem in der Abhängigkeit von außereuropäischen Energie- und Rohstoffversorgern: Öl wird zu 90 Prozent und Gas zu 80 Prozent aus nichteuropäischen Ländern importiert. Hinsichtlich dessen fordert er mehr Fördergelder für die Wissenschaft, um daraus Kapital zu schöpfen und Herausforderungen zu begegnen.

Jenseits dessen stehen wir vor großen sozialen Herausforderungen, so existiert zum Beispiel eine hohe Jugendarbeitslosigkeit auf gesamteuropäischer Ebene; auch ist ein Überalterungsproblem festzustellen. Die Verteilungsgerechtigkeit nimmt ab, parallel dazu nimmt die Zahl der von Armut bedrohten Menschen zu. Angesichts dieser Entwicklungen fordert Fischler nicht nur eine Diskussion über die Probleme, sondern vielmehr auch die Entwicklung und Umsetzung von Lösungsvorschlägen. Smartes, inklusives und grünes Wachstum ist der Wunsch der Europäischen Union zur Bewältigung der vielgestaltigen Probleme. Smart bedeutet innovativ, also die Förderung und Investierung im Ausbildungssektor. Inklusiv meint die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Armut sowie die Nutzung der Fähigkeiten vor allem von jungen Leuten, sodass Fähigkeit zu Fertigkeit umgewandelt wird. Grünes Wachstum fordert die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen und ein Umdenken im energiepolitischen System. Anhand dieser Ziele ist wiederum unser Fortschritt messbar. Die Europäische Union hat 120 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und Infrastrukturprojekte zu fördern.
    
In Österreich wird der Bereich Wissenschaft und Forschung mit zwei Prozent des BIP gefördert. Davon wird etwa die Hälfte an Geldern von der Wirtschaft erbracht. Fischler kritisiert die relativ niedrigen Ausgaben für diesen zukunftsträchtigen, weil innovativen Bereich und fordert eine raschere Umsetzung der EU-Ziele zur Förderung der Grundlagenforschung, durch die Innovation erst ermöglicht wird. Wir nähern uns zwar den erwünschten drei Prozent an, jedoch ist nach wie vor viel zu tun. Fischler hebt als positive Neuerung im Rahmen der Diskussion in Brüssel zur Verbesserung der Fördersysteme hervor, dass nicht länger nur WissenschaftlerInnen, sondern auch Kreative, KünstlerInnen und Intellektuelle herangezogen werden, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Er betont, dass Forschung am Anfang steht, sozusagen den Grundstein legt. Wenn wir aufholen wollen, so müssen wir zunächst in die Grundlagenforschung investieren. Diese legt den Beginn der Entwicklung eines neuen Produkts, einer neuen Technologie oder einer neuen Idee fest. Auf europäischer Ebene wurde ein neues Rahmenforschungsprogramm entwickelt, das wesentlich mehr Mittel für ebendiese Grundlagenforschung zur Verfügung stellt, als es bisher der Fall war. Fischler lobt auch das Engagement österreichischer ForscherInnen, die sich in Anbetracht des relativ kleinen Staates Österreich im Vergleich zu anderen EU-Staaten am stärksten an Forschungsprojekten beteiligen.
    
Nachhaltigkeit weist auch eine soziale Dimension auf. Fischler nennt die Zahl von 120 Millionen Menschen, die EU-weit von Armut bedroht sind. Ein eigens für die Eindämmung dieser Entwicklung eingerichteter Armutsfonds von 2,5 Milliarden Euro soll diese Tendenz ins Gegenteil verkehren. Sechs Milliarden sind für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt worden, die beispielsweise in manchen Regionen Griechenlands oder Spaniens 50 Prozent ausmacht. Im Vergleich dazu wurden 700 Milliarden für die Rettung der Banken aufgebracht. Fischler betont, dass noch einiges geschehen muss, um ein tatsächliches Gleichgewicht herzustellen.
    
Wir brauchen nicht nur qualitatives Wachstum, sondern stabile Volkswirtschaften, die auch ein sehr geringes oder gar kein Wachstum aufweisen können. Je reifer eine Volkswirtschaft wird, desto schwieriger wird es, ein höheres Wachstum zu erreichen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Steigerung der Lebensqualität nicht erstrebenswerter ist, als die des BIP. Wenn wir dann diese Lebensqualität zum Inhalt unseres Wirtschaftens machen, braucht es auch Methoden der Messbarkeit; ein stichhaltiges Instrument dazu gibt es bis dato nicht.
    
In der Wirtschaft geht es darum, den gemeinsamen Markt auf EU-Ebene zu verstärken und vor allem technische Barrieren abzubauen. Es wurde noch nicht geschafft, eine europäische Energiestrategie zu entwickeln, also keine Steuerung der Energiemärkte, kein Leitungsnetz, das überschüssig produzierte Energie weiterleitet. Fortschritte, so Fischler, hat die EU jedoch bei der Bankenunion gemacht, sodass die Europäische Zentralbank zur erfolgreichsten Institution innerhalb der EU gemacht wurde. Wenn wir es schaffen, die Wirtschaft anzukurbeln, dann steigen auch die Steuereinnahmen und es wird wieder einen Abbau der Schulden geben; dabei merkt Fischler jedoch an, dass dies in der Praxis nicht immer so einfach funktioniert.
    
Um mehr Akzeptanz und weniger Protest in Bezug auf die EU zu schaffen, fordert er einen erweiterten Dialog zwischen Politik und BürgerInnen. Letzteren muss die Chance gegeben werden, Fragen an die Politik zu stellen oder ihre Kritik loszuwerden. Der fehlende Dialog mit den BürgerInnen ist jedoch nicht der einzige Mangel, sondern auch jener auf internationaler oder außereuropäischer Ebene. Fischler kritisiert die mangelhafte Dialogfähigkeit der EU, beispielsweise in Hinsicht auf Russland anlässlich der jüngsten Krise in der Ukraine. Hierbei wurde nicht genügend investiert, der Informationsfluss ist nicht breit genug.
    
Eingedenk der erläuterten Probleme und Bedürfnisse der Europäischen Union fordert Franz Fischler abschließend eine Politik, die tatsächlich entscheidet und nicht nur politische Vorgänge kommentiert.

Freitag, 16. Mai 2014