Soziale Innovation braucht das Land, Andreas Reiter
MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DER "NEUEN" PARTIZIPATIVEN UND KOOPERATIVEN ÖKONOMIE AM BEISPIEL DER KREATIVWIRTSCHAFT IM LÄNDLICHEN RAUM
Andreas Reiter ist Zukunfts- und Trendforscher und Tourismusberater. Er beschäftigt sich mit sozialem Wandel im ländlichen Raum.
LEERSTÄNDE ALS ZWISCHENLÖSUNGEN
Andreas Reiter erklärt eingangs das Kernthema seines Vortrags: Partizipation und Wirtschaft. Wir leben in einem Zeitalter der extremen Transformation. Dabei stellt sich Reiter die Frage, wie wir früh derlei Veränderungssignale dechiffrieren können – denn oft werden Veränderungspotentiale nicht als solche erkannt, sondern als Probleme missverstanden. Was sich im Großen für gesellschaftspolitische und globale Bereiche anwenden lässt, lässt sich ebenso auch auf die regionale und lokale Ebene anwenden. Reiter zitiert Zygmunt Bauman: „Gesellschaft ist derart flüssig, dass alles mit allem verwoben ist.“ Wir haben flüssige Identitäten, alles bewegt sich und die Komplexität nimmt zu. Je höher wiederum der Grad an Komplexität ist, desto mehr Sinn macht es, gemeinsam diese Komplexität zu reduzieren. In diesem Sinne wird das wachsende soziale Kapital wichtiger. Gleichzeitig verändert sich auch der Wertekanon der Gesellschaft; diese wird darüber hinaus brüchiger. Eine wesentliche Rolle dabei spielt die Interkonnektivität, die digitale Vernetzung. Viele der Partizipationsmöglichkeiten sind ohne die technologische Vernetzung nicht umsetzbar. Ziel ist es, eine Netzwirtschaft aufzubauen, um nachhaltig und ressourcenschonend zu agieren.
In der postmodernen Zeit gibt es das Grundmotiv der Vereinfachung; gleichzeitig stellt Reiter eine relativ hohe Wachstumskritik fest. Der temporäre Verzicht wird zur neuen Tugend der oberen sozialen Schichten. Die Einstellung der Postmoderne, nämlich die quantitative Wachstumsspirale „höher – schneller – weiter“, ist wirtschaftlich, moralisch und gesellschaftlich an einem Scheitelpunkt angekommen und geht ihrem Ende zu. Heute stehen vielmehr qualitative Themen im Zentrum des Interesses – weg vom Ich hin zum Netzwerk. Reiter nennt dabei den Begriff des „altruistischen Egoismus“ (Ulrich Beck) – ich brauche einen Zweiten, um die Komplexität zu reduzieren. Wir schaffen uns also ein Netzwerk, welches auf einer technologischen Vernetzung, vor allem auf Social Media, basiert. Aus den bisherigen Wertschöpfungsketten werden dabei immer stärker Wertschöpfungsnetze, auch mit einer Verbindung von Eigen- und Gemeinnutzen.
Das gute Leben, wo es darum geht, mit gutem Gewissen zu konsumieren, tritt laut Reiter heutzutage in den Vordergrund. Die digitale Vernetzung der Gesellschaft wird immer weiter ausgebaut: Insbesondere die junge Generation, die im digitalen Zeitalter aufwächst, ist permanent online und somit auch durchgängig vernetzt. Dies schafft viele neue Möglichkeiten, wobei jedoch gleichzeitig tradierte Sicherheiten wegbrechen. Als Konsequenz wächst die Sehnsucht nach sozialer Verankerung, Zugehörigkeit und Resonanz.
Im Bereich der Wirtschaft werden Umbrüche immer durch technologische Neuerungen ausgelöst. Die sogenannten Startup-Unternehmen brechen die Regeln des traditionellen Marktes. Die steigende Komplexität der Wirtschaft verlangt nach einem Zusammenschluss der Masse, um den neuen Herausforderungen gerecht werden zu können. In eine ähnliche Kerbe schlägt der sogenannte Caring Capitalism, der ebenfalls sozial vernetzt ist: Wo früher allein konsumiert wurde, wird nun gemeinsam konsumiert und auch geteilt. Früher wurde gehortet oder weggeworfen, heute wird recycelt oder getauscht – der Besitz als solcher ist weniger wichtig geworden, der Zugang dafür umso mehr. Zugang wiederum ist ein Phänomen der Partizipationsgesellschaft, die ihre Bedürfnisse on demand runterlädt. Gesellschaftliche Verantwortung spielt auch im Umgang mit Ressourcen eine wesentliche Rolle, so Reiter. Die Nachhaltigkeit spielt beispielsweise beim Phänomen des Food Sharing die entscheidende Rolle. Ziel ist es, Ressourcen zu schonen und nachhaltig zu nutzen. Die Treiber hinter dem gesamten Transformationsprozess sind Wertewandel, technologische Vernetzung beziehungsweise die Netzökonomie und Effizienz bei der Nutzung von Ressourcen.
Doch wo liegen dabei die Chancen? Reiter selbst sieht die Entwicklungen zwiespältig: Spätestens seit der Finanzkrise merken wir die strukturellen Schwächen unseres Systems; traditionelle (ökonomische) Strukturen brechen auf und schaffen neue Möglichkeitsräume. Unsere westliche Marktwirtschaft hat den Sättigungsgrad erreicht und steht am Scheideweg – entweder sie bricht in sich zusammen oder sie geht in eine neue Richtung, in eine neue Wachstumsphase. Reiter sieht hierin Potential in der Partizipationsgesellschaft: Was dem Einzelnen nicht möglich ist, kann die Gruppe möglich machen. Sharing economy stellt in diesem Szenario die Basis dar, auf die der Wandel aufgebaut würde. Manche Konzerne sind bereits auf diese Idee aufmerksam geworden und kooperieren teilweise auch mit privaten Anbietern. Die virale Beteiligungskultur ändert also das wirtschaftliche und gesellschaftliche Gefüge. Die Gesellschaft vernetzt sich und hilft sich gegenseitig. Dies betrifft auch den Bereich der Dezentralisierung, den Reiter für essentiell hält: KonsumentInnen gestalten immer mehr selbst und eigenständig.
Freitag, 28. November 2014
Die zweitägige Veranstaltung "Kreativität braucht das Land!" wird im Rahmen des EU-Projektes „CREATIVE - Kreative Wertschöpfungskette“ umgesetzt und gefördert: