Zeit und nachhaltige Entwicklung

Tatjana Fischer ist Geografin am Institut für Raumplanung und Ländliche Neuordnung (IRUB) an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU).

Tatjana Fischer erklärt eingangs das zentrale Anliegen der Raumplanung. Ziel ist es, Räume aufzuputzen; das Hauptaugenmerk liegt auf der Erdoberfläche. Dabei dreht es sich nicht um Stadt oder Land, sondern um ländliche und städtische Raumtypen. Hierbei sind wiederum zwei Begriffe zu definieren: Raumstruktur meint das, was in der Gemeinde wahrgenommen wird. Raumwahrnehmung bedeutet wiederum, dass jeder seinen Raum anders, individuell wahrnimmt. Diese Wahrnehmung hängt auch davon ab, wie viel Zeit an einem Ort verbracht wird.
    
Hinsichtlich Raumplanung spricht Fischer von einer gewissen „Zeitlichkeit“. Im Rahmen ihrer Beschäftigung geht sie auf Menschen zu und fragt, wie es ihnen in ihrem persönlichen Umfeld geht, was ihre Motivationen zum Verbleiben beziehungsweise Verlassen sind. Dabei ist sie viel unterwegs und versucht, vor Ort zu lernen. Fischer möchte Entwicklungen vorhersehen: Wann wird etwas wo für wen notwendig sein? Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Erkenntnisse genutzt und welche Lösungen für bestimmte Probleme angeboten werden können. Wichtig ist dabei, ganzheitlich zu denken und zu bestimmen, welche Prioritäten politisch wichtig sein werden.
    
Die Planung von Raum erfolgt hinsichtlich folgender Gesichtspunkte: ordnen, entwickeln, schützen, gestalten, koordinieren, vermitteln und aktivieren. Der Unterschied zwischen Raumplanung und Sozialarbeit liegt darin, dass für RaumplanerInnen das Kollektiv im Zentrum steht. „Wir identifizieren Anspruchsgruppen in der Bevölkerung und machen auch keine Globalaussagen, sondern brauchen einen Raumbezug“, so Tatjana Fischer. Die Analyse eines Gebiets erfolgt wiederum auf verschiedenen Ebenen. Es stellt sich die Frage, was dauerhaft und was veränderbar ist, wie hoch die Wirtschafts- und Finanzkraft einer Gebietsschaft liegt, welche unterschiedlichen Anspruchsgruppen oder sozialräumlichen Aspekte vorliegen. Fischers Analysen haben bislang ergeben, dass der ländliche Raum nicht länger als das ultimative Paradies angesehen wird; die Realität zeigt ein ganz anderes Bild. Nichtsdestotrotz gibt es viele StädterInnen, die aufs Land ziehen, bei Pflege und Betreuung jedoch wiederum die städtischen Angebote nutzen wollen und daher in die Stadt zurückkehren.
    
Doch wie schnell vollzieht sich eine Entwicklung und wie beeinflussbar ist sie? Fischer konstatiert eine negative Entwicklungsspirale: vom Mangel an Arbeitsplätzen über sinkende Finanzkraft, sterbendes Gemeinschaftsleben bis hin zum Verlust der kritischen Masse. Dabei betont sie, dass diese negative Entwicklungsspirale ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Auch stellt sie einen Geschlechtsunterschied fest. In Bezug auf Frauen im ländlichen Raum in der Steiermark ist folgendes Wanderungs- und Bleibeverhalten festzustellen: Frauen gehen nicht zum Vergnügen weg, sondern weil sie sich in einem Spannungsfeld zwischen rationalen und emotionalen Effekten befinden, so Fischer. Dabei tut sich eine Kluft zwischen bindenden Elementen in der Wohngemeinde (zum Beispiel ein Baugrund, ein Partner etc.) und den Verlockungen der Stadt (zum Beispiel Karriere) auf. Unter den Frauen im Alter von 20 bis 30 Jahren gibt es unterschiedliche Gruppen, so etwa Mütter. Diese Gruppe definiert sich über ihre Kinder, merkt jedoch später, dass die Gemeinde außer einem Kindergarten nicht viel bietet. Auch richten sich Frauen häufig nach ihrem Partner, vor allem in der Frage nach dem Wohnort. Dabei vergessen Mütter vor allem auf sich selbst, was sie erst realisieren, sobald die Kinder größer sind oder nicht mehr im eigenen Haushalt leben.

Freitag, 06. Mai 2011