DENKZEITRAUM: KREATIVITÄT DES DENKENS

Rebekka Reinhard ist philosophische Beraterin in eigener Praxis und im Klinikum für Psychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Darüber hinaus ist sie Referentin für Führungskräfte von Unternehmen und Spiegel-Bestseller-Autorin.

In Rebekka Reinhards Vortrag geht es um Kreativität in Bezug auf die Gestaltung des Lebens insgesamt. In unseren Breiten werden Schlagwörter wie „Effizienz“, „Effektivität“, „Produktivität“, „Lösungsorientierung“, „Berechenbarkeit“ mit Imperativen gleichgesetzt, denen die größtmögliche Bedeutung zukommt. Wir leben in einer Zeit, in der Ziel- und Lösungsorientiertheit der Weisheit letzter Schluss zu sein scheint. Von klein auf werden wir auf Effizienz und Effektivität eingeschworen und systematisch darauf abgerichtet, Unwägbarkeiten auszuschalten. Die Ironie dabei ist, dass dies letztendlich vollkommen unmöglich ist, da das Leben ja per definitionem unwägbar, unkontrollierbar und auch ziemlich unperfekt ist. Ungeachtet dieser Tatsache geht es jedoch im Leben jedes Einzelnen immer mehr darum, irgendwelche Zielvorgaben zu erreichen, es geschafft zu haben, wobei nie ganz klar ist, was mit diesem „es schaffen“ eigentlich gemeint sein soll, kritisiert Reinhard. Das emsige Streben nach Perfektion kann dabei auch krank machen. Die meisten Patienten, die Reinhard betreut, erlitten eine Krise, welche auf einer plötzlichen Orientierungslosigkeit basierte. Diese Ungewissheit wurde oft von chronischen Problemen, wie etwa eine schwierige familiäre Situation oder einen unvorhersehbaren Jobverlust, ausgelöst.

Die neue Situation veranlasst viele, in ein Dilemma mit sich selbst zu fallen, sodass Experten von außen die unerträgliche innere Spannung lösen sollen. Für die meisten ist das Umherirren-Müssen im Ungewissen, dieses Abgekommen-Sein von der vermeintlichen Hauptstraße des Lebens ein völlig überflüssiger Kostenfaktor, reine Zeitverschwendung. Hierin sieht Reinhard ihre Aufgabe, indem sie den Patienten nach potentiellen Vorteilen seiner existenziellen Krise fragt. Sie betont, dass solche verwirrenden Situationen hervorragende Übungen in Sachen Selbsterkenntnis und Selbstprüfung sind. Wir lernen Geduld und entdecken möglicherweise neue Potentiale in uns. Reinhard verweist auf das Schicksal des antiken Helden Odysseus, der uns gezeigt hat, dass Irrfahrten im Ungewissen nicht immer Strafe oder Zeitverschwendung sein müssen, sondern dass es auch so etwas wie eine Kunst des Irrens geben kann, eine zentrale Lebens- und Überlebenskompetenz. Das Scheitern und Irren kann uns lernen und weiser werden lassen; es lässt uns idealerweise Problemlösungskompetenzen entwickeln. Dabei ist es wichtig, betont Reinhard, zu wissen, wofür wir leben: „Wenn wir also lernen wollen, Umwege und Irrwege, die uns das Leben beschert, nicht nur einfach in Kauf zu nehmen, sondern durch sie und auf ihnen über uns selbst hinauszuwachsen, schöpferisch mit ihnen umzugehen, dann brauchen wir im Zweifelsfall keinen Experten, keinen Arzt, keinen Coach, sondern bloß eine Antwort auf die Frage ‚Wofür lebe ich?‘“ Wichtig ist dabei, Protagonisten unserer eigenen Existenz zu sein, und uns unserer Gabe bewusst zu werden, immer wieder neu anfangen zu können.

Samstag, 18. Mai 2013